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Bereicherungsrecht: Anspruch des Bürgen aus § 813 BGB

BGH ,Urteil vom 24.10.2017 – XI ZR 362/15

Sachverhalt: 

Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht von dem Beklagten Erstattung von Leistungen, die aufgrund einer Gewährleistungsbürgschaft von der Bürgin erbracht wurden.  

 

Die zwischenzeitliche insolvente Hauptschuldnerin hatte sich dem Beklagten gegenüber zu Fliesen-, Abdichtungs- und Estricharbeiten verpflichtet. Diese Forderung ließ sich der Beklagte durch eine Bürgschaft einer Versicherungs-AG (im Folgenden: Bürgin) unter Verzicht auf die Einreden der Anfechtung, der Aufrechnung und der Vorausklage, §§ 770, 771 BGB sichern. Die Sicherungsabrede zwischen Beklagten und Hauptschuldnerin ist  wegen  AGB-Verstoßes unwirksam.  Die Klägerin übernahm gegenüber der Bürgin eine Rückbürgschaft.

 

Nachdem der Beklagte die Bürgin aufgrund angeblich mangelhafter Leistung durch die Hauptschuldnerin, die inzwischen insolvent war, in Anspruch genommen hatte, zahlte die Bürgin unter Vorbehalt. Danach nahm die Bürgin die Klägerin aus der Rückbürgschaft in Anspruch und trat gleichzeitig den Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung an die Klägerin ab. Diesen Anspruch verfolgt die Klägerin und eigene Ansprüche verfolgt die Klägerin. 

 

Entscheidung: 

Der BGH gewährt der Klägerin aus abgetretenem Recht einen Anspruch aus § 813 BGB gegenüber der Beklagten, da die Bürgin trotz einer ihr zustehenden peremptorischen Einrede aus §§ 768 Abs. 1 S. 1, 821 BGB aufgrund der unwirksamen Sicherungsabrede zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit gezahlt habe.

 

"Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin von dem Beklagten nach § 813 Abs. 1 Satz 1, § 398 BGB aus abgetretenem Recht der Bürgin deren Zahlung zurückfordern, da die Bürgin wegen der Unwirksamkeit der Sicherungsvereinbarung [...] trotz des Bestehens einer dauerhaften Einrede aus § 768 Abs. 1 Satz 1, § 821 BGB an den Beklagten zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit aus der Gewährleistungsbürgschaft geleistet hat."

 

Damit entschied der BGH den Streit, ob bei einer dauerhaften Einrede und anschließender Zahlung auf die Bürgschaftsschuld dem Bürgen ein Anspruch aus § 813 BGB gegenüber dem Gläubiger besteht, zugunsten des Bürgen. Weder dem Wortlaut noch die Gesetzessystematik in § 813 BGB gäben Anhaltspunkte dafür, dass zwischen einer peremptorischen Einrede des Bürgen und des Hauptschuldners zu unterscheiden sei. Die daraus resultierende Konsequenz, dass dem Bürgen ein Wahlrecht zustehe, ob er gegen den Hauptschuldner oder gegen den Gläubiger vorgehe, führe weder zu einer ungerechtfertigten Privilegierung des Bürgen noch zu einer unangemessenen Benachteiligung des Gläubigers. Vielmehr liege es in der Natur der Sache, dass dem Bürgen zwei Befriedigungsmöglichkeiten offen stünden. Dass die Einrede der Unwirksamkeit aus dem Vertragsverhältnis zwischen Gläubiger und Hauptschuldner auch im Verhältnis zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger berücksichtigt wird, gehe auf das Akzessorietätsprinzip zurück.  

 

"Ob dem Bürgen, der trotz Bestehens einer dauerhaften Einrede nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB an den Gläubiger aus der Bürgschaft leistet, nach § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Kondiktionsanspruch gegen den Gläubiger zusteht, ist umstritten (eine Direktkondiktion des Bürgen gegen den Gläubiger bejahend: Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., § 812 Rn. 83; MünchKommBGB/Habersack, 7. Aufl., § 768 Rn. 10; PWW/Brödermann, BGB, 12. Aufl., § 768 Rn. 9; Staudinger/Horn, BGB, Neubearb. 2012, § 768 Rn. 40; allgemein einen Direktanspruch des Bürgen gegen den Gläubiger im Falle der rechtsgrundlosen Leistung aus der Bürgschaft bejahend: Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., § 812 Rn. 83; Wendehorst in Bamberger/Roth, BeckOK BGB, Stand 15. Juni 2017, § 812 Rn. 220; Erman/Buck-Heeb, BGB, 15. Aufl., § 812 Rn. 30; Moufang/Koos in Ganten/Jansen/Voit, Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B, 3. Aufl., § 17 Abs. 4 Rn. 205; Hogrefe, VersR 2014, 1407, 1412; den Bürgen auf den Regress beim Hauptschuldner verweisend: Lorenz, JuS 1999, 1145, 1149; Staudinger/Lorenz, BGB, Neubearb. 2007, § 812 Rn. 47; MünchKommBGB/Schwab, 7. Aufl., § 812 Rn. 199; Tiedtke, JZ 2006, 940, 942; BeckOGK/Madaus, BGB, Stand 1. August 2017, § 765 Rn. 14).

 

bb) Die überwiegende Auffassung, die dem Bürgen gegen den Gläubiger einen Bereicherungsanspruch nach § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB zubilligt, wenn er trotz des Bestehens einer dauerhaften Einrede nach § 768 Abs. 1 Satz 1, § 821 BGB aus der Bürgschaft geleistet hat, ist zutreffend.

 

(1) Die Bürgschaft begründet eine von der Verpflichtung des Hauptschuldners zu unterscheidende, rechtlich selbstständige Verpflichtung, die ihren Rechtsgrund in sich selbst trägt und daher grundsätzlich unabhängig vom Bestand der Hauptschuld gültig ist (BGH, Urteile vom 24. Januar 1991 - IX ZR 174/90, BGHZ 113, 287, 288 mwN und vom 8. März 2001 - IX ZR 236/00, BGHZ 147, 99, 101). Den Bürgen trifft daher im Falle der Inanspruchnahme durch den Gläubiger eine eigenständige Zahlungspflicht gegenüber diesem. Zahlt der Bürge daraufhin an den Gläubiger, leistet er in der Regel zum Zwecke der Erfüllung dieser eigenen Verbindlichkeit (Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., § 812 Rn. 83) und nicht zur Erfüllung der besicherten Hauptverbindlichkeit, da er diese nach § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB erwerben will. Aus der maßgeblichen Sicht des Gläubigers liegt deshalb regelmäßig keine Leistung des Hauptschuldners, sondern eine Leistung des Bürgen vor. Bestand die Verpflichtung des Bürgen nicht oder nicht in der geleisteten Höhe, etwa mangels gesicherter Hauptverbindlichkeit (§ 767 Abs. 1 Satz 1 BGB), hat der Bürge an den Gläubiger ohne Rechtsgrund geleistet und die Tatbestandsvoraussetzungen des § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB sind erfüllt.

 

(2) Stand dem Anspruch des Gläubigers aus der Bürgschaft eine dauerhafte Einrede entgegen, kann der Bürge die zur Erfüllung seiner Bürgschaftsverbindlichkeit erbrachte Leistung nach § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückfordern.

 

(a) § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB stellt die Leistung zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit, der eine dauerhafte Einrede entgegensteht, der Leistung ohne Rechtsgrund nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB gleich und gewährt dem Leistenden einen inhaltsgleichen Kondiktionsanspruch. Damit steht er auch dem Bürgen zu, der zur Erfüllung seiner Bürgenschuld an den Gläubiger geleistet hat, obwohl er diesem eine peremtorische Einrede des Hauptschuldners über § 768 BGB hätte entgegenhalten können. Weder der Wortlaut der Norm noch die Gesetzessystematik in § 813 BGB oder § 768 BGB bieten Anhaltspunkte für eine Differenzierung danach, ob eine peremtorische Einrede des Bürgen aus eigenem oder aus dem Recht des Hauptschuldners über § 768 BGB resultiert. Eine solche Differenzierung wird auch soweit ersichtlich in Rechtsprechung und Literatur nicht vertreten.

 

(b) Die insbesondere von Lorenz (JuS 1999, 1145, 1149; diese Argumentation aufgreifend: Tiedtke, JZ 2006, 940, 942 und MünchKommBGB/Schwab, 7. Aufl., § 812 Rn. 199) gegen die Anwendbarkeit des § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB im Verhältnis zwischen Bürge und Gläubiger im Falle der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede zwischen dem Hauptschuldner und dem Gläubiger vorgebrachten Argumente überzeugen nicht. Weder führt die Zulassung einer Kondiktion aus § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB in diesen Fällen zu einer ungerechtfertigten Privilegierung des Bürgen noch zu einer unangemessenen Benachteiligung des Gläubigers.

 

Es ist zwar zutreffend, dass der Bürge nach Inanspruchnahme durch den Gläubiger wählen kann, ob er beim Hauptschuldner nach § 670 BGB bzw. über die cessio legis aus § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB Regress nimmt oder beim Gläubiger kondiziert. Dies begründet aber keine nicht zu rechtfertigende Privilegierung des Bürgen. Die Wahlmöglichkeit ist den einschlägigen gesetzlichen Regelungen und dem Umstand geschuldet, dass der Bürge auch zwei Schuldverhältnisse eingegangen ist, nämlich eines mit dem Hauptschuldner in Form des der Bürgschaftsgestellung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts und eines mit dem Gläubiger in Form der Bürgschaft selbst, und sich aus beiden im Falle der unberechtigten Inanspruchnahme nach dem Gesetz Ansprüche ergeben, die aber nur einmal geltend gemacht werden können.

 

Dass der Bürge im Falle der ungerechtfertigten Inanspruchnahme durch den Gläubiger auch von dessen eventuell besserer Bonität profitiert, ist folgerichtig. Es würde den Bürgen vielmehr übermäßig belasten, wenn er nicht nur in dem Fall der berechtigten Inanspruchnahme aus der Bürgschaft das insoweit bewusst übernommene Insolvenzrisiko des Hauptschuldners zu tragen hätte, sondern auch im Fall einer unberechtigten Inanspruchnahme, für die er sich gerade nicht verbürgt hat. Umgekehrt hat der Gläubiger die ihm drohende Gefahr einer Inanspruchnahme durch Hauptschuldner und Bürgen selbst heraufbeschworen. Zum einen hat er den Hauptschuldner unangemessen benachteiligende formularmäßige Bürgschaftsbedingungen verlangt und so die Möglichkeit einer dauernden Leistungsverweigerung geschaffen. Zum anderen hat er den Bürgen trotz des Bestehens dieser Einrede in Anspruch genommen. Er ist deswegen nicht schutzwürdig. Überdies können Hauptschuldner und Bürge lediglich einmal Rückzahlung des vom Bürgen Geleisteten verlangen. Denn der Anspruch des Hauptschuldners ist grundsätzlich auf Zahlung an den Bürgen gerichtet (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 - IX ZR 355/00, BGHZ 152, 246, 252), sodass der Gläubiger im Ergebnis nicht doppelt belastet wird."

 

Auf den Punkt gebracht: 

Ein Bürge, dem wegen der Unwirksamkeit der Sicherungsvereinbarung nach §  768 Abs.  1 S.  1 BGB eine dauerhafte Einrede gegen den Gläubiger zustand, kann das von ihm dennoch Geleistete nach §  813 Abs.  1 S.  1 BGB vom Gläubiger zurückverlangen.