BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17
Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Mutter der im Alter von 15 Jahren verstorbenen T und neben dem Vater Mitglied der Erbengemeinschaft nach ihrer Tochter. Facebook als Beklagte betreibt ein soziales Netzwerk, über dessen Infrastruktur die Nutzer miteinander über das Internet kommunizieren und Inhalte austauschen können.
Im Jahr 2011 registrierte sich T im Alter von 14 Jahren im Einverständnis ihrer Eltern bei dem sozialen Netzwerk der Beklagten und unterhielt dort ein Benutzerkonto. Im Jahr 2012 verunglückte das Mädchen unter bisher ungeklärten Umständen bei einem U-Bahnunglück tödlich.
Die Klägerin versuchte, sich in das Benutzerkonto ihrer Tochter einzuloggen, um etwaige Hinweise über mögliche Absichten oder Motive für den Fall zu erhalten, dass es sich bei dem Tod des Mädchens um einen Suizid gehandelt hat. Dies war ihr jedoch nicht möglich, weil die Beklagte das Konto inzwischen in den sogenannten Gedenkzustand versetzt hatte, womit ein Zugang auch mit den Nutzerdaten nicht mehr möglich ist. Die Inhalte des Kontos werden jedoch nicht gelöscht.
Die Klägerin beansprucht mit ihrer Klage von der Beklagten den Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto, insbesondere zu den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten. Sie macht geltend, die Erbengemeinschaft benötige den Zugang zu dem Benutzerkonto, um Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidabsichten gehegt habe, und um Schadensersatzansprüche des Fahrers der U-Bahn abzuwehren. Die persönlichen Kommunikationsinhalte im Benutzerkonto des Mädchens seien an die Erbengemeinschaft vererbt worden. Dem stehe auch der Schutz des Fernmeldegeheimnisses aus § 88 TKG nicht entgegen, weil diese Regelung auf die Beklagte weder in persönlicher noch in sachlicher Hinsicht anwendbar sei. Jedenfalls sei die Beseitigung der Zugangssperre durch den sogenannten Gedenkzustand gerechtfertigt. Der Datenschutz zugunsten der Kommunikationspartner der Erblasserin trete im Rahmen der praktischen Konkordanz der betroffenen Grundrechtspositionen hinter den Zugangsanspruch der Erben zurück. Schließlich seien die Bestimmungen der Beklagten zum sogenannten Gedenkzustand, soweit überhaupt wirksam in den Nutzungsvertrag einbezogen, gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Entscheidung:
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das klageabweisende Urteil des Kammergerichts aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.
Nach seiner Auffassung haben die Erben gegen die Beklagte einen Anspruch, ihnen den Zugang zum Benutzerkonto der T und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren. Dies ergibt sich aus dem Nutzungsvertrag zwischen der Tochter der Klägerin und der Beklagten, der im Wege der Universalzukzession nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben übergegangen ist. Dessen Vererblichkeit sei nicht durch vertraglichen Bestimmungen ausgeschlossen. Die Nutzungsbedingungen enthalten hierzu keine Regelung. Die Klauseln zum Gedenkzustand sind bereits nicht wirksam in den Vertrag einbezogen. Sie hielten überdies einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB nicht stand und seien daher unwirksam. Dem liegt nachfolgende Überlegung zugrunde: Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine Bestimmung insbesondere dann unwirksam, wenn sie mit den wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung unvereinbar ist. Vorliegend betreffen die vertraglichen Regelungen zum Gedenkzustand die Regelung des § 1922 BGB, nach der grundsätzlich das gesamte Vermögen des Erblassers auf dessen Erben übergeht. Die Vererblichkeit einer Vertragsbeziehung kann nicht durch AGB ausgeschlossen werden.
Auch aus dem "Wesen" des Vertrags ergebe sich keine Unvererblichkeit des Vertragsverhältnisses. Insbesondere sei dieser nicht höchstpersönlicher Natur. Ein höchstpersönlicher Charakter folge nicht aus den im Nutzungsvertrag stillschweigend vorausgesetzten und damit immanenten Gründen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Kommunikationspartner der T. Zwar mag der Abschluss eines Nutzungsvertrags mit Facebook in der Erwartung erfolgen, dass die Nachrichten zwischen den Teilnehmern des Netzwerks jedenfalls grundsätzlich vertraulich bleiben und nicht durch die Beklagte dritten Personen gegenüber offengelegt werden. Die vertragliche Pflicht von Facebook zur Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten sei jedoch von vornherein nicht Personen sondern kontobezogen. Die vertragliche Pflichte bestehe nicht darin Nachrichten an eine bestimmte Person, sondern an das Benutzerkonto des Empfängers zu übermitteln. Dafür spricht, dass Facebook den Nutzungsvertrag ohne vorherige Überprüfung der Identität zur Verfügung stellt. Der Absender einer Nachricht kann dementsprechend zwar darauf vertrauen, dass Facebook seine Nachrichten nur an das adressierte Benutzerkonto zur Verfügung stellt. Es besteht aber kein schutzwürdiges Vertrauen des Nutzers darauf, dass nur der Kontoinhaber und nicht Dritte von dem Kontoinhalt Kenntnis erlangen. So müsse zu Lebzeiten mit einem Missbrauch des Zugangs durch Dritte oder mit der Zugangsgewährung seitens des Kontoberechtigten gerechnet werden und bei dessen Tod mit der Vererbung des Vertragsverhältnisses.
Auch eine Differenzierung des Kontozugangs nach vermögenswerten und höchstpersönlichen Inhalten scheidet nach Auffassung des BGH aus. Nach der gesetzgeberischen Wertung gehen auch Rechtspositionen mit höchstpersönlichen Inhalten auf die Erben über. So werden analoge Dokumente wie Tagebücher und persönliche Briefe vererbt, wie sich insbesondere aus § 2047 Abs. 2 und § 2373 Satz 2 BGB ergibt. Es besteht aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln.
Einen Ausschluss der Vererblichkeit auf Grund des postmortalen Persönlichkeitsrechts der Erblasserin hat der III. Zivilsenat ebenfalls verneint.
In der rechtswissenschaftlichen Literatur war kontrovers diskutiert worden, ob der Vererbbarkeit von digitalen Inhalten das in § 88 Abs. 3 Telekommunikationsgesetz (TKG) geregelte Fernmeldegeheimnis entgegensteht. Entgegen der Auffassung der Berufungsinstanz geht der BGH davon aus, dass auch das Fernmeldegeheimnis des § 88 TKG dem Anspruch der Klägerin nicht entgegensteht. Der Erbe sei, da er im Wege der Universalsukzession vollständig in die Position des Erblassers einrückt, nicht "anderer" im Sinne von § 88 Abs. 3 TKG. Der naturalistischen Sicht des KG (KG, Urteil vom 31.05.2017 – 21 U 9/16) erteilte der BGH damit eine klare Absage.
Schließlich kollidiert der Anspruch der Klägerin nach Auffassung des BGH auch nicht mit dem Datenschutzrecht. Der dritte Senat hatte hierzu die seit 25. Mai 2018 geltende Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) anzuwenden. Diese steht dem Zugang der Erben nicht entgegen. Datenschutzrechtliche Belange der Erblasserin sind nicht betroffen, da die Verordnung nur lebende Personen schützt. Die der Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten immanente Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Kommunikationspartner der Erblasserin ist sowohl nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1 DS-GVO als auch nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO zulässig. Sie ist sowohl zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Kommunikationspartnern der Erblasserin erforderlich (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1 DS-GVO) als auch auf Grund berechtigter überwiegender Interessen der Erben (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO).
Bedeutung und Einordnung:
Das Urteil hat hohe praktischer Relevanz. Der BGH hat bislang offene und umstrittene Rechtsfragen im Umgang mit dem digitalen Nachlass geklärt. Freilich bleibt für die Erben praktisch häufig das Problem, dass sie die notwendigen Zugangsdaten nicht kennen. Insoweit können Vorsorgemaßnahmen zu Lebzeiten den Erben den Zugang zu den Daten erleichtern und so einen mitunter langwierigen Weg durch die Instanzen vermeiden.
Das Urteil hat über den konkreten Fall hinaus immense Bedeutung: Im größeren Kontext betrifft es den Umgang mit dem digitalen Nachlass (etwa online gespeicherte E-Mails, Daten oder Fotos in einer Cloud etc.) und schafft damit Rechtsklarheit im Hinblick auf eine seit Jahren kontrovers diskutierten Materie.
Auch im Hinblick auf eine Klausur haben derartige Fragestellungen durchaus ihren Reiz. Insbesondere ist eine Kombination mit kollisionsrechtlichen und international Verfahrensrechtlichen Fragestellungen denkbar, weil der Nutzungsvertrag eines deutschen Nutzers mit der in Irland ansässigen Facebook Inc. einen Auslandsbezug im Sinne des Art. 3 EGBGB aufweist. Nur unter den Voraussetzungen des Art. 6 Rom I-VO unterliegt der Nutzungsvertrag dem deutschen Sachrecht. Diese dürften bei privaten Nutzer freilich regelmäßig erfüllt sein.
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