BGH, Urt. v. 18.09.2020, Az. V ZR 8/19
Sachverhalt:
Bei der Klägerin, die ein Autohaus betreibt, erschien ein vermeintlicher Kaufinteressent für ein als Vorführwagen genutztes Kraftfahrzeug (Mercedes-Benz V 220 d) im Wert von 52.900 €. Nachdem dieser hochprofessionelle Fälschungen eines italienischen Personalausweises, einer Meldebestätigung einer deutschen Stadt und eines italienischen Führerscheins vorgelegt hatte, wurden ihm für eine unbegleitete Probefahrt von einer Stunde auf der Grundlage eines "Fahrzeug-Benutzungsvertrages" ein Fahrzeugschlüssel, das mit einem roten Kennzeichen versehene Fahrzeug, das Fahrtenbuch und Fahrzeugscheinheft sowie eine Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil I ausgehändigt. Der vermeintliche Kaufinteressent kehrte mit dem Fahrzeug nicht mehr zu dem Autohaus zurück.
Kurze Zeit später wurde die Beklagte in einem Internetverkaufsportal auf das dort von einem Privatverkäufer angebotene Fahrzeug aufmerksam. Die Beklagte, die die vorgelegten Fahrzeugunterlagen nicht als gefälscht erkannte, schloss mit dem Verkäufer einen Kaufvertrag über das Fahrzeug. Ihr wurden nach Zahlung des Kaufpreises von 46.500 € das Fahrzeug, die Zulassungspapiere, ein passender sowie ein weiterer – nicht dem Fahrzeug zuzuordnender – Schlüssel übergeben. Die Behörde lehnte eine Zulassung ab, da das Fahrzeug als gestohlen gemeldet war.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Herausgabe des Fahrzeuges und des Originalschlüssels; die Beklagte verlangt im Wege der Widerklage u.a. die Herausgabe der Original-Zulassungspapiere und des Zweitschlüssels.
Prozessgeschichte:
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Vor dem Oberlandesgericht hatte die Klage Erfolg; die Widerklage wurde abgewiesen.
Entscheidung:
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Urteil des Landgerichts im Wesentlichen wiederhergestellt.
Nach Auffassung des BGH hat die Klägerin das Eigentum an dem Fahrzeug verloren. Knackpunkt ist insoweit § 935 BGB der einen gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten bei abhandengekommenen Sachen verhindert. Ein gutgläubiger Eigentumserwerb der Beklagten scheitert nach Auffassung des BGH aber nicht an § 935 BGB, da das Fahrzeug der Klägerin nicht abhandengekommen war. Ein Abhandenkommen im Sinne dieser Vorschrift setzt einen unfreiwilligen Besitzverlust voraus. Daran fehle es vorliegend. Eine Besitzübertragung sei nicht schon deshalb unfreiwillig, weil sie auf einer Täuschung beruhe. Die Überlassung eines Kraftfahrzeuges durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt eines Kaufinteressenten für eine gewisse Dauer – hier eine Stunde – führe auch nicht zu einer bloßen Besitzlockerung, sondern zu einem Besitzübergang auf den Kaufinteressenten.
Dieser ist während der Probefahrt nicht lediglich Besitzdiener des Verkäufers, was nach § 855 BGB zur Folge hätte, dass nach wie vor der Verkäufer als Besitzer anzusehen wäre. Es fehle an dem dafür erforderlichen sozialen oder vergleichbaren Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Verkäufer und dem Kaufinteressenten. Dass Letzterer in Bezug auf das Fahrzeug Weisungen bzw. Vorgaben des Verkäufers unterworfen ist, ändere hieran nichts. Denn sie entspringe dem Vertragsanbahnungsverhältnis und damit einem auf die Sache bezogenen Rechtsverhältnis im Sinne des § 868 BGB. Demgegenüber folge die Weisungsunterworfenheit eines Besitzdieners aus einem über den rechtlichen Bezug zur Sache hinausgehenden Verhältnis zum Besitzherrn. Ein solches Verhältnis bestehe zwischen dem Verkäufer eines Fahrzeugs und einem Kaufinteressenten nicht. Daher gehe mit der (freiwilligen) Überlassung des Fahrzeugs zur Probefahrt der Besitz auf den vermeintlichen Kaufinteressenten über.
Die nicht erfolgte Rückgabe des Fahrzeugs an die Klägerin stelle somit kein Abhandenkommen im Sinne des § 935 BGB dar, so dass es von einem späteren Käufer gutgläubig erworben werden konnte. Folglich sei die Beklagte, da sie nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts bei dem Erwerb des Kraftfahrzeuges in gutem Glauben war, dessen Eigentümerin geworden und kann von der Klägerin die Herausgabe der Original-Zulassungspapiere verlangen.
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